LETZTE ÄNDERUNG am Samstag 17. Dezember 2022 08:38 durch BV LuiseNord
Der folgende Beitrag erschien als Artikel in der Stadtteilzeitung „ecke köpenicker Nr. 5 November Dezember 2022“
Am 29. September 2022 übergab die Initiative „Kiezblock Nördliche Luisenstadt“ Bezirksstadträtin Dr. Almut Neumann (Ordnung, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen im BA Mitte) auf ihrem Rundgang durch das Heinrich-Heine-Viertel eine Liste mit 1200 Unterschriften und mehr als 200 Kommentaren zu ihrem Vorschlag, drei Kiezblocks im Gebiet einzurichten.
Die Stadträtin bedankte sich herzlich und sicherte ihre persönliche Unterstützung des Anliegens vor: „Wir haben das Ziel, bis 2026 insgesamt zwölf Kiezblocks im Bezirk Mitte umzusetzen und haben die ersten bereits in der BVV beschlossen.
„Solche Unterschriftensammlungen geben uns
dabei natürlich enormen Rückenwind.“
Auf Antrag der Fraktionen der Grünen, der SPD und der Linken stand das Thema am 20. Oktober auf der Tagesordnung der BVV Mitte.
Mit großer Mehrheit wurde dort das Bezirksamt Mitte ersucht, die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in der Nördlichen Luisenstadt umzusetzen.
Das Straßen- und Grünflächenamt wird die Vorschläge der Initiative jetzt prüfen und gegebenenfalls noch Änderungen vornehmen.
Im Weddinger Bellermann-Kiez wurde der erste Kiezblock des Bezirks Mitte bereits umgesetzt, im kommenden Jahr soll auch im Brüsseler Kiez einer eingerichtet werden.
In der Nördlichen Luisenstadt sind drei
unterschiedliche Kiezblocks in der Diskussion:
Versenkbare „Modalfilter“ gefordert
Dort sollen an insgesamt zehn Stellen Straßen mithilfe von Pollern für KfZ gesperrt werden (s. Karte unten).
Über die Straße Michaelkirchplatz zwischen dem gleichnamigen Platz und dem Engelbecken verkehrt jedoch die Buslinie 147 der BVG. Die Initiative fordert hier deshalb einen versenkbaren Modalfilter (d. h. mehrere versenkbare Poller).
Vor etlichen privaten Carports und in privaten Tiefgaragen findet man solche versenkbaren Poller bereits, in der Kreuzberger Körtestraße steht ein Exemplar seit vergangenem Jahr sogar öffentlich auf Straßenland.
Auch andere Kiezblockinitiativen in der Stadt fordern versenkbare Poller, insbesondere wenn Busse der BVG durch die Wohngebiete fahren. Die kann sich auch Stadträtin Neumann gut vorstellen. Auf unsere Nachfrage hin erklärte sie allerdings die Beschaffung allerdings zur Aufgabe der Senatsverwaltung, da ja nicht nur der Bezirk Mitte betroffen sei.
Fraglich ist zudem, ob die Straße Michaelkirchplatz an der angegebenen Stelle in die Zuständigkeit des Bezirks fällt. In den einschlägigen Karten jedenfalls ist die Stelle zusammen mit dem Straßenzug Annenstraße und Engel- bzw. Bethaniendamm als Bestandteil des übergeordneten Straßennetzes aufgeführt. Zwar nur in der untersten Kategorie der Ergänzungsstraßen, aber auch damit wäre die Senatsverwaltung zuständig und nicht das bezirkliche Straßen- und Grünflächenamt.
Neu im Instrumentenkasten
Um die Kiezblocks tobt aber auch eine grundsätzliche Debatte. Denn noch vor wenigen Jahren gehörten sie nicht in den Instrumentenkasten der Verkehrsplanung von Berlin.
Im Verkehrskonzept für die Nördliche Luisenstadt, das Ende 2014 nach etlichen öffentlichen Diskussionsrunden von zwei anerkannten Planungsbüros ausgearbeitet wurde, finden sich jedenfalls keine Modalfilter und keine Diagonalsperren.
Stattdessen werden eine Fülle von kleineren Einzelmaßnahmen wie die Verengung von Fahrbahnen und Aufpflasterung von Kreuzungen vorgeschlagen, als maximal radikaler Eingriff war die Einrichtung von verkehrsberuhigten Zonen vorgesehen.
Auch im von denselben Büros entwickelten Konzept für den Brüsseler Kiez im Wedding aus dem Jahr 2018 findet sich keinerlei Hinweis auf Modalfilter oder Diagonalsperren.
Solche Maßnahmen waren in beiden Kiezen auf Bürgerversammlungen zwar gefordert worden, hatten damals aber keine Chance auf Umsetzung – und das, obwohl auch 2018 schon sowohl die Verkehrsressorts im Senat als auch im Bezirk von den Grünen geleitet wurden.
Heute stehen Kiezblocks dagegen ganz oben im Arsenal der Berliner Verkehrspolitik auf der Ebene von Wohngebieten. Es müssen sich inzwischen also grundlegende Dinge geändert haben.
Generationswechsel in der Verwaltung
Es hat in der Tat einen Generationswechsel gegeben, wobei die Welle der Pensionierungen noch nicht abgeschlossen ist.
Die Generation der Babyboomer der 1960er Jahre rutscht immer stärker ins Ruhestandsalter. Um die jüngeren Generationen ist jetzt ein heftiger Kampf entbrannt. Bei den Verkehrsplanern und -planerinnen konkurrieren nicht nur private Büros und öffentliche Stellen um die besten Köpfe.
Auch unter den Ämtern wird kräftig voneinander abgeworben. Denn vakant werden ja vor allem die Leitungsstellen. Wer Berufserfahrung vorweisen kann, hat derzeit in der Branche sehr gute Karrierechancen.
Die Bezirke haben da allerdings einen Nachteil: Sie können nicht so viel zahlen wie die Landes- und Bundesbehörden. Dafür bieten sie jedoch ein Betätigungsfeld in der Nähe der Menschen:
Es geht um konkrete Entscheidungen mit konkreten Wirkungen auf konkrete Menschen, eine Art Handwerkerstolz, der entsteht, wenn man mitbekommt, wie die eigene Arbeit wertgeschätzt wird.
Auch dies hatte die Stadträtin Neumann wohl im Sinn, als sie die Unterschriftenaktion so lobte. Die hilft ihr nämlich auch dabei, hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Unter den Absolventinnen und Absolventen der entsprechenden Studiengänge an den Berliner Universitäten dürften die Anhänger der Verkehrswende nämlich ganz eindeutig in der Mehrheit sein.
Für deren „Marsch durch die Institutionen“ bietet sich das SGA Mitte (Straßen- und Grünflächenamt) als idealer Ausgangspunkt an.
Kiezblocks sind effektiv
Gegenüber den konventionellen Möglichkeiten der Verkehrsberuhigung, wie sie im Verkehrskonzept aus dem Jahr 2014 ausgearbeitet waren, haben die Kiezblocks auch noch einen weiteren Vorteil:
Sie sind wesentlich effektiver, und zwar sowohl hinsichtlich der Arbeitskraft der Bauarbeiter als auch der Planerinnen und Planer. Bis die ursprünglich vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt wären, würden Jahrzehnte vergehen, die Kiezblocks dagegen könnten schon im kommenden oder im übernächsten Jahr auf der Straße sein.
Bis so ein Kreuzungsbereich vorgestreckt und aufgepflastert ist, sind dagegen zahlreiche administrative Abstimmungsrunden zu überstehen, schon weil es viel länger dauert, die erforderlichen Finanzmittel zusammenzubekommen. Und Betriebe zu finden, die die Arbeit dann auch zügig konkret umsetzen, ist in den letzten Jahren ebenfalls viel schwerer geworden.
Das Straßen- und Grünflächenamt Mitte hat sich vor einigen Jahren jedenfalls kategorisch geweigert, noch irgendwelche neuen Projekte und Vorhaben anzugehen, solange der Personalbestand so ausgedünnt sei und der Stapel der unerledigten Projekte so hoch.
Dass jetzt überhaupt neue Projekte wie Kiezblocks angegangen werden, muss man in dieser Hinsicht schon als großen Fortschritt auffassen.
Andererseits ist die Verkehrswende kein akademisches Projekt, sondern bewegt auch die Wählerinnen und Wähler.
Beim letzten Wahlkampf haben sich das die Politiker und -innen Berlins ausführlich anhören müssen. Der Druck, bei der Verkehrswende endlich Spürbares zu liefern ist ziemlich hoch. Und er kommt nicht nur von der Parteibasis der Grünen, sondern ist in allen demokratischen Parteien im Bezirk zu bemerken.
Text: „cs“ in der Stadtteilzeitung „ecke köpenicker Nr. 5 November Dezember 2022“
Symbolbild oben: Ch. Eckelt in der “ecke”