LETZTE ÄNDERUNG am Donnerstag 13. April 2023 16:16 durch BV LuiseNord
Der folgende, hier ergänzte Beitrag erschien als Artikel im Februar 2023 in der Stadtteilzeitung „ecke köpenicker Nr. 1 Februar März 2023“.
Der neue »StEP Klima 2.0« offenbart die drastische Abkehr von der »autogerechten Stadt«
Die Grundlagen der Stadtentwicklung Berlins sind in fünf Stadtentwicklungsplänen (abgekürzt: »StEP«) niedergelegt.
Es gibt den StEP Wohnen, den StEP Wirtschaft, den StEP Verkehr, den StEP Zentren – und seit dem Jahr 2011 auch den StEP Klima.
Ende Dezember 2022 wurde vom Senat dessen aktualisierte Variante »StEP Klima 2.0« beschlossen. Er enthält wichtige Aussagen über die Entwicklungsperspektiven der einzelnen Teilgebiete Berlins. Zudem offenbart er, wie grundlegend sich in den letzten Jahrzehnten das Denken in der Stadtentwicklung geändert hat.
Der »StEP Klima 2.0« soll aufzeigen, wo und wie Berlin klimaschützend wachsen kann und wie und wo sich die Stadt auf die Folgen des Klimawandels einstellen muss.
Der Plan beschreibt in fünf Handlungsansätzen räumlich und mit Hilfe von Karten, wo welche Prioritäten zur Klimaanpassung gesetzt werden.
Handlungsansatz eins – Abkehr vom alten Leitbild der »autogerechten Stadt«
Der Handlungsansatz eins, der im Folgenden vorgestellt wird, heißt: »Mit kurzen Wegen das Klima schützen«.
Die anderen vier Ansätze beschäftigen sich mit dem notwendigen Umgang mit den Folgen der Klimaerwärmung wie der Anpassung der Stadt an Hitzebelastung, der Klimaoptimierung von Grünflächen, dem Umgang mit Gewässern und Kleingewässern sowie dem Überschwemmungsschutz.
Überall ist Mischgebiet
Im Handlungsansatz der »kurzen Wege« geht es nur vordergründig um den Verkehr in der Stadt. Tatsächlich manifestiert sich hier die drastische Abkehr vom alten Leitbild der »autogerechten Stadt«, das seit der Nachkriegszeit das Denken im Bereich Stadtentwicklung beherrschte und auch heute noch unser Städtebaurecht grundlegend prägt.
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Seit den 1980er Jahren ist die »Stadt der kurzen Wege« das akademische Gegenmodell dazu. Die autogerechte Stadt dachte man sich aus Stadtquartieren mit unterschiedlichen, klar getrennten Funktionen, die großen Autostraßen miteinander verbanden: hier Wohnen, da Einkaufen und Freizeit genießen, dort (Büro-)arbeiten, irgendwo dazwischen Bildung und zumeist am Rand (und möglichst nahe der Autobahn) Güter produzieren. Die Menschen pendeln mit ihrem Automobil auf gut ausgebauten Straßen zwischen diesen Gebieten.
Statt dieser funktional getrennten Stadt ist in der »kompakten Stadt« die räumliche Trennung von Arbeit, Wohnen und Konsumieren aufgehoben. Überall ist Mischgebiet, sozusagen. Die industrielle Produktion materieller Güter findet im urbanen Raum idealerweise gar nicht mehr statt, zumindest so lange sie mit Emissionen, erhöhtem Güterverkehr oder besonderen Gefahren verbunden ist – Produktentwicklung und Software-Engineering sind natürlich erlaubt. Riesige hochautomatisierte Produktionsanlagen jedoch sind nicht kompakt, denn sie benötigen sehr viel Platz bei relativ wenigen Beschäftigten und erzeugen viel Verkehr.
Privilegierter Stadtraum
Im neuen StEP Klima tritt der Begriff der »kompakten Stadt der kurzen Wege« zudem an die Stelle ansonsten gebräuchlicher Ausdrücke wie »Innenstadt« oder »innere Stadt«. Er beschreibt also eine privilegierte Zone verdichteter Urbanität.
Als »kompakte Stadt der kurzen Wege« wird dabei der Teil des Stadtraums definiert, der gut an das Schienennetz des öffentlichen Nahverkehrs angeschlossen und gleichzeitig kompakt bebaut ist. In dieser Zone soll die bauliche Entwicklung und Qualifizierung künftig konzentriert werden, um unnötige Verkehrswege zu vermeiden und die Auswirkungen auf das Klima zu minimieren. Viel deutlicher könnte die Abkehr vom Leitbild der autogerechten Stadt kaum vollzogen werden.
Weit über den S-Bahn-Ring hinaus
Dieser privilegierte Stadtraum der »kompakten Stadt der kurzen Wege« erstreckt sich im StEP Klima weit über den S-Bahn-Ring hinaus, der bislang zumeist als Grenze der inneren Stadt angesehen wird.
Im Norden reicht die kompakte Stadt bis in die Altstadt von Tegel und bis zum U- und S-Bahnhof Wittenau (nicht aber bis ins Märkische Viertel), im Süden bis nach Britz, Alt-Mariendorf und Steglitz (nicht aber bis in die Gropiusstadt). Und in westlicher Richtung erstreckt sie sich über Siemensstadt und Haselhorst hinweg bis zum Bahnhof Spandau und zur Spandauer Altstadt.
Auffällig ist: Die Großsiedlungen in Stadtrandlage – gewissermaßen die steingewordene »autogerechte Stadt« – gehören nirgendwo zur »kompakten Stadt«, selbst wenn sie an das Berliner Schienennetz angebunden sind.
Und auf der anderen Seite sind in die Zone der kompakten Stadt bemerkenswert viele Industrieflächen einbezogen. Offenbar werden auf diesen Flächen Potenziale für die Entwicklung und Qualifikation der kompakten Stadt vermutet.
Fette Fundgrube – 137 Seiten, mit zahlreichen schönen Fotos, Illustrationen und sehr vielen Planungskarten:
Die Broschüre der Senatsverwaltung zum StEP Klima 2.0, erstellt Dezember 2022
Kein Wunschdenken, sondern Marktrealität
Ein gutes Beispiel für so eine Qualifikation ist die Planung für die Entwicklung der Siemensstadt in Spandau: Da wird ein altes Industriegelände von einem High-Tech-Konzern in ein zeitgemäßes Stadtviertel verwandelt, in dem sowohl Wohnen als auch Arbeiten (vor allem Forschen und Entwickeln) und Freizeit stattfindet: die kompakte Stadt der kurzen Wege auf Mikroebene sozusagen.
Die klassische Produktion spielt dabei keine Rolle. Im Gegenteil: Der Weltkonzern baut in seinem benachbarten Schaltwerk gerade etwa 400 klassische Industriearbeitsplätze ab.
Beispiel ehemaliges Postfuhramt
an der Köpenicker Straße
Auch in Mitte finden sich Beispiele für eine solche kompakte Stadtentwicklung: Auf dem Gelände des ehemaligen Postfuhramtes an der Köpenicker Straße zum Beispiel entstehen Bürogebäude und Wohnhäuser nebeneinander.
Am Leopoldplatz hat der Eigentümer zusammen mit dem Bezirk gerade einen Wettbewerb ausgelobt, um das Warenhaus vor Ort zukunftsfähig zu halten und mit Wohnen, Büros und Räumen für soziale Projekte anzureichern.
Und in Moabit können wir in der »Europa-City« kritisch begutachten, wie die ersten Ansätze der kompakten Stadt in Berlin umgesetzt wurden (es fehlt zum Beispiel aus heutiger Sicht definitiv ein S-Bahnhof).
Das zeigt auch deutlich: Die »kompakte Stadt« ist in der Realität bereits angekommen. Der »StEP Klima 2.0« ist nicht Wunschdenken, sondern Beschreibung realer Kräfte in der Stadtentwicklung. Das private Kapital oder, wenn man so will, »der Markt« folgt dem neuen Leitbild bereits.
»Stadtachsen« statt »Hauptverkehrsstraßen«
Bemerkenswert an der Neufassung des StEP Klima ist auch dessen Umgang mit den Hauptverkehrsstraßen Berlins. Denn der Entwicklungsplan übernimmt nicht einfach das übergeordnete Straßennetz der Stadt in seine Planung, sondern beschränkt sich auf »Stadtachsen«, die er zu »klimafreundlichen Mobilitäts- und Lebensräumen« entwickeln will.
Dazu gehören zum Beispiel in der Nördlichen Luisenstadt die Achse aus Brücken- und Heinrich-Heine-Straße, nicht aber die Köpenicker Straße und der Engeldamm.
Die Straße Alt-Moabit ist als Stadtachse eingezeichnet, die Turmstraße nicht. Und auch im Wedding ist das bisher übergeordnete Straßennetz der Stufen III (örtliches Straßennetz) und IV (weitere Straßen von besonderer Bedeutung) im Netz der »Stadtachsen« nicht mehr präsent. Dazu gehören beispielsweise die Transvaalstraße oder die Schönwalder Straße, aber auch die ultrabreite Sellerstraße ist hier nicht mehr aufgeführt.
Groteske Streits zwischen Bezirk und Senat
Diese Beschränkung birgt eine gewisse Brisanz. Nicht nur im Bezirk Mitte lässt sich bei diesen »örtlichen« und »weiteren « Hauptverkehrsstraßen in der Vergangenheit eine erhöhte Verwaltungsaktivität konstatieren. Denn hier überschneiden sich die Zuständigkeiten von Bezirk und Senat manchmal geradezu in grotesker Form – man stritt sich wie in der Turmstraße zum Beispiel gerne und ausgiebig darüber, wer für die Anbringung welcher Schilder verantwortlich ist.
Wer verwaltet die “Kiezstraßen”?
Solche Straßen werden von der Bevölkerung zudem politisch meist in der Zuständigkeit der Bezirke verortet und als »Kiezstraßen« angesehen. Die Bezirke geraten folglich unter den Druck nachbarschaftlicher und stadtbürgerlicher Initiative, können aber nur auf die tatsächliche Zuständigkeit der Senatsverwaltung verweisen, die sich um lokale Befindlichkeiten meist nicht schert.
Das führt zu erhöhtem Schriftverkehr zwischen den Verwaltungsebenen untereinander sowie zwischen der Verwaltung und den Bürgern. Und bindet Arbeitskraft, die für andere Aufgaben nutzbringender eingesetzt werden könnten.
Wenn der Senat unmittelbar nur noch für die im StEP Klima ausgewiesenen »Stadtachsen« zuständig wäre und die Personalausstattung der bezirklichen Straßen- und Grünflächenämter entsprechend aufgestockt würde, dann ergäbe sich ein relativ gut kommunizierbares Stück »Verwaltungsreform «.
Text: „cs“ in der „ecke No. 1 2023“
Offizielle Webseite der Senatsverwaltung mit zahlreichen, sehr ausführlichen PDF als Downloads:
www.Stadtentwicklung.berlin.de/planen/../klima
Dieser und weitere Beiträge in der ecke No. 1/2023
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