Tresor Begehung

Luisenstadt: Die Geschichte des Techno-Clubs Tresor

LETZTE ÄNDERUNG am Dienstag 9. August 2022 17:37 durch BV LuiseNord


Der folgende Beitrag erschien als Artikel in der Stadtteilzeitung „ecke köpenicker No. 3 Juni Juli 2022“


Wie Berlin Techno-Hauptstadt wurde

Nach dem Mauerfall begann im Tresor eine neue Jugendbewegung

Von März 2020 bis Mai 2022 war der Tresor wegen Corona geschlossen, jetzt ist er wieder auf. Für viele ist der Club ihre Jugend, die enden würde, wenn er verschwinden sollte. Möge er also mindestens 100 werden!

Die Geschichte des heutigen Techno-Clubs Tresor begann vor dem Mauerfall.


Siehe auch: „Kostenlose Führung: Clubs und Kultur in der Köpenicker Straße“ am 20. August 2022


Heute befindet der Club im südlichen, nicht mehr in Betrieb befindlichen Teil des Heizkraftwerks Mitte an der Köpenicker Straße und ist einer der wichtigsten Lokalitäten für elektronische Tanzmusik.

Vom UFO West in den Tresor Ost

Bis 1988 hatten Dimitri Hegemann, Achim Kohlberger und Carola Stoiber im illegalen Club UFO in der Köpenicker Straße 6 in SO36 englische Acid-House-Musik gespielt.

Dieselbe Straße, aber ein anderes Gesellschaftssystem: das alte West-Berlin. Um das UFO zu betreten, musste man in einer Küche durch eine Luke eine Leiter in einen nur 1,90 Meter hohen Keller hinuntersteigen. 100 Raver hätten hineingepasst, meist waren es eher weniger als 50.

Das UFO musste wegen Beschwerden der Anwohner schließen, immerhin stieg dort 1989 noch die After-Hour-Party der ersten Loveparade.

Die Mauer fiel, Hegemann und Kohlberger waren auf der Suche nach neuen Clubräumen und es feierte zusammen, was zusammengehörte. Sie lernten auf der Party Tekknozid den Lichtenberger Techno-Fan Johnnie Stieler kennen und gemeinsam fanden sie auf abenteuerliche Art am Leipziger Platz die alten, noch erhaltenen unterirdischen Tresorräume des Warenhauses Wertheim.

Manche DJs brachten sich Sauerstoffflaschen mit zum Dienst, um ihre Schicht zu überstehen

Die gigantischen Kellertresore der Wertheim-Bank Aktiengesellschaft bildeten mit den vier unterirdischen Etagen des alten Reichsluftfahrtministeriums eine ganze unterirdische Stadt mit vierspurigen Straßen. Die Schließfächer und Räume wurden von einer knietiefen Müllschicht gesäubert und es begann 1991 bis 2005 die größte Zeit eines der legendärsten Clubs der Welt.

Im Niemandsland zwischen Ost und West am früheren Todesstreifen des Potsdamer Platzes überzeugte der gigantische Keller DJs und Tänzer aus aller Welt.

Lange Schlangen davor, drinnen war es bis 11 Uhr vormittags gerammelt voll. Bei den Bässen des schnellen, harten Schlagzeug-Taktes schlackerten die Hosen und die Lungen vibrierten. Die Dunkelheit wurde von Stroboskop-Lichtblitzen und Blaulicht im dichten Disco-Nebel zerhackt.

Es gab nicht genug Sauerstoff zum Atmen, es reichte nicht einmal zum Entzünden eines Feuerzeugs. Manche DJs brachten sich Sauerstoffflaschen mit zum Dienst, um ihre Schicht zu überstehen. Kondenswasser tropfte von der Decke, die Raver trugen Gasmasken und Tarnkleidung.

Es gehörte für Westberliner Mut dazu, sich in den anarchistischen Osten zu wagen. Es war der Beginn einer Jugendbewegung, eine Kulturexplosion. Diese minimalistische Musik passte in seiner Grobheit zum grauen und rauen Berlin. Ost und West vermischten sich in der Feier der Freiheit mit dem richtigen Soundtrack im Tresor.

Man erfuhr von den Partys durch einen Anruf bei der Raveline. Ecstasy spielte als Rauschmittel eine wichtige Rolle. Der Sound wurde durch die Achse Berlin-Detroit zunehmend von House, Industrial und Electro aus den USA dominiert.

Nach 14 Jahren war Schluss

Berlin wurde zur Techno-Hauptstadt mit vielen Besuchern aus der ganzen Welt. 2003 gab es zum Dank eine gewalttätige Drogen-Razzia der Berliner Polizei.

Die Nachwendezeit endete, Tränen flossen 2005, als nach 14 Jahren an der Leipziger Straße Schluss war. Wieso die Räume, anstatt als Weltkulturerbe erhalten zu bleiben, abgerissen und durch die gesichts- und sinnlose Mall of Berlin ersetzt wurden, ist eines der Geheimnisse der verfehlten Berliner Politik.

Der „Tresor im Exil“ machte an verschiedenen Orten weiter, so im Maria am Ostbahnhof und im SO36.

Der Tresor heute in der Luisenstadt

2007 eröffnete der Tresor seine neuen Räume im Heizkraftwerk. Wie hat er sich verändert?

Es gibt drei Floors. Der „Batterieraum“ und die +4-Bar mit Blick auf die alte Kraftwerksruine sind Electro und House vorbehalten. Durch einen 30 Meter langen Tunnel erreicht man den Keller mit seinem Berliner „Detroit-Techno“.

Tresor im Kraftwerk
2012 – auch Bild oben: Dimitri Hegemann gibt der Nachbarschaft eine Führung durch den „neuen“ Tresor – Klick das Bild für eine Großansicht

Star DJs wie Paul van Dyk, Sven Väth oder Westbam blieben dem Tresor auch in der Luisenstadt treu. Die Schließfächer und massiven Stahlgittertüren wurden mitgenommen und im neuen Ort installiert.

So ist die düstere Atmosphäre geblieben. Die tonnenschweren Tresortüren aus Stahlbeton liegen heute neben dem Klub unter freiem Himmel als Denkmal der friedlichen Revolution ganz anderer Art.

Text: Falko Hennig in der „ecke köpenicker 3 Juni Juli 2022“ – hier lesen/downloaden

Der Autor lädt auf telefonische Anfrage ein zum Stadtspaziergang „Engel, Flieger & Genossen“ (min. 5 Teilnehmer, 2h / €12,-) durch die Luisenstadt und den schmalsten Park Berlins ein. Treffpunkt nach Absprache, Telefon (0176) 20 21 53 39.

Fotos: Archiv BV


ecke köpenicker 3 Juni Juli 2022 - hier lesen/downloaden
ecke köpenicker 3 Juni Juli 2022 – hier lesen/downloaden

Siehe auch


 

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